cradle to cradle
abbruchhäuser aufgepasst!
Produkte ohne Abfall herstellen
Cradle to Cradle heißt
- Materialgesundheit
- Kreislauffähigkeit
- erneuerbare Energien einsetzen
- mit Wasser verantwortungsvoll umgehen
- sozial gerecht planen und handeln
- saubere Trennbarkeit
- genaueste Dokumentation
- Produktionsabfall ausschließen oder minimieren
- beständiger Materialfluss und -veränderung
Kreislaufwirtschaft hat gute Chancen, zur Leitidee des nächsten Jahrzehnts aufzusteigen
… und damit den ausgehöhlten Begriff Nachhaltigkeit mit neuem Leben zu erfüllen. In der Bauwelt ist C2C (Cradle to Cradle) angekommen. Doch was bedeutet Cradle to Cradle – »von der Wiege zur Wiege« – wirklich? Die Idee tauchte erstmals in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf. Damals entwickelten der Chemiker Michael Braungart und der Architekt William McDonough das Konzept, technische und biologische Kreisläufe strikt zu trennen und so nur noch Produkte herzustellen, die keinen »Abfall« darstellen, sondern entweder Nährstoffe für die Natur bilden oder in geschlossenen technischen Kreisläufen ständig wiederverwertet werden. Cradle to Cradle eliminiert menschengemachte Gifte aus der Umwelt. Eine C2C-Jeans kann im Garten gefahrlos verrotten, da sie aus Bio-Baumwolle besteht und ohne Schädlingsvernichtungs- und Bleichmittel hergestellt wurde. Cradle to Cradle setzt also eine andere Produktion voraus und einen wirklich nachhaltigen Umgang mit unserer Umwelt und ihren endlichen Ressourcen.
Jährlich 209 Millionen Tonnen Schutt
Das Cradle to Cradle-Prinzip auf Architektur zu übertragen, heißt bei den Materialien anzusetzen. »Alleine in Deutschland werden jährlich 517 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe verbaut«, gibt das Zentrum Ressourceneffizienz des VDI an, das entspricht rund »90 Prozent der gesamten inländischen Entnahme.« Hoch sind auch die Anteile für Baustahl und Zement. Zudem fallen Jahr für Jahr bei Bau- und Abbrucharbeiten rund 209 Millionen Tonnen Schutt an, was über die Hälfte des deutschen Abfallaufkommens ausmacht target. Kein Wunder, dass Fachleute seit Jahren für die Wiederverwendung von Baumaterialien und den Erhalt der in der Konstruktion gebundenen »grauen Energie« werben: »Reduce, Reuse, Recycle« lautete bereits 2012 das Motto des deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale von Venedig. Recyclingmaterialien wie Recyclingbeton sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft, schließlich liegt der Betonanteil bei Wohngebäuden inzwischen bei mehr als 50 Prozent, bei gewerblichen Hochbauten häufig sogar bei 90 Prozent.
Statement unseres Experten Benjamin Blocher
»Speziell Materialverbünde fordern uns hier heraus. Wir müssen sie nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip sauber trennen können. Mittelfristig wirkt sich das natürlich auf die Vorprodukte am Bau aus. Statt etwa durch Kleber fast unauflösbare Verbünde zu schaffen, die irgendwann als Sondermüll entsorgt werden müssen, setzen wir Stoffe sauber trennbar ein und dokumentieren sie genauestens. Alles auf den Prüfstand. Vom Material bis zur Konstruktion muss alles ganzheitlich geplant sein. Wir müssen jedes Produkt genau auswählen und alles vollständig digital dokumentieren. Wir Architekten waren schon immer Generalisten. Darum gilt bei unserer Lifecycle Analysis umso mehr: Konsequenz bis ins letzte Detail! Klar, das bedeutet erst einmal mehr Aufwand: Denn bei langer, theoretisch unendlicher Nutzung müssen wir Information vernetzen. Aber unsere Erfahrung zeigt eindeutig: Am Ende spart’s Geld.«
Energie sparen
Abbruchhäuser aufgepasst! Es zeichnet sich ein Umbruch ab: Häuser werden flexibler, das heißt: von vornherein wandelbar konzipiert und modular gestaltet, sodass sie sich leichter verändern, erweitern, ausund umbauen lassen. Das setzt ein neues Denken voraus – oder ein ganz traditionelles. Schließlich wurden bis in die Moderne Häuser eher weitergebaut als abgebrochen und durch Neubauten ersetzt. Dabei sprechen die Zahlen für sich. Sanierung spart gegenüber einem neuen Haus rund zwei Drittel des Materials ein.
Das EU-Forschungsprojekt Buildings as Material Banks zeigt, wohin die Reise gehen könnte: Mittels materials passports (MP), also Materialpässen für Neu- und Umbauten, entsteht eine BIM-kompatible Datenbank der jeweiligen Bauten und ihrer Produkte. Abbruchbauten wandeln sich zu wertvollen Materiallagern. Erste Schätzungen zeigen, dass dadurch der Wert der Häuser steigt, und zwar um rund zehn Prozent bei rund 20 Jahren Nutzung. Volkswirtschaftlich geht es um Milliarden. Die Ellen MacArthur Foundation etwa rechnet in ihrer Studie »Universal circular economy policy goals« alleine für die EU mit Einsparungen von 1.800 Milliarden Euro bis 2030 durch Kreislaufwirtschaft im Bau, Landwirtschaft und Transportwesen.
Erste Cradle-to-Cradle-Bauten
Was heißt das nun konkret für Cradle to Cradle-Bauten? Erste Beispiele stehen in Essen (Verwaltungsgebäude der RAG-Stiftung und RAG AG auf Zollverein), Hamburg (Moringa-Haus im Hamburger Hafen) und im Schweizerischen Dübendorf. Die dortige Materialprüfungsanstalt hat mit (NEST = Next Evolution in Sustainable Building Technologies) ein Experimentalhaus geschaffen, das aus einem Gebäudekern und drei Plattformen besteht, auf denen ganz unterschiedliche Module auf Zeit installiert werden. Das Haus ist ständig im Fluss und zeigt damit, dass es zwischen Grundsteinlegung, Fertigstellung und Abbruch bald eine neue Kategorie geben könnte, die durch beständige Materialflüsse und Veränderung gekennzeichnet ist. Gebrauchen statt verbrauchen, lautet die Devise, die Architektur, Städtebau und Gesellschaft prägen werden.
Cradle to Cradle und Nachhaltigkeit
Wenn schließlich alles reversibel, modular und temporär angelegt ist, verändert sich der Blick auf das Haus. Höhere Investitionen in die Ausstattung sind ebenso denkbar wie ein selbstverständlicher Wandel von Fassaden und Nutzungen. Die eingesetzten Produkte müssen nicht unbedingt zertifizierte „Cradle to Cradle Products“ des Innovation Institute mit Sitz in San Francisco sein, werden sich aber an ähnlichen Maßstäben messen lassen müssen: Materialgesundheit, Kreislauffähigkeit, Erneuerbare Energien, verantwortungsvoller Umgang mit Wasser sowie Soziale Gerechtigkeit. Nachhaltiges Bauen und Cradle to Cradle gehören zusammen. Sie sind zwei Seiten einer Medaille, die Materialien und dem sogenannten Bestand einen viel größeren Wert zumisst als es wir heute tun, auch wenn dieser viel wandelbarer werden wird. Zum Wohl der Natur und uns Menschen.